Mittwoch, 6. Februar 2013

Das Nervensystem und Propriozeption

Kommen wir einmal zu einem etwas schwierigen aber äußerst wichtigem Thema. Ich werde versuchen es einfach zu halten und mich nur auf das Wichtigste zu beschränken.

Das Nervensystem regelt im Körper die bewussten und unbewussten Handlungen. Dabei arbeitet es mit dem Hormonsystem zusammen.
Unterschieden wird in 3 Nervensystemen:
- zentrales Nervensystem (ZNS)
- vegetatives Nervensystem (VNS) auch autonomes Nervensystem genannt
- peripheres Nervensystem (PNS)

1. Zentrales Nervensystem
Hierzu zählt man das Gehirn und das sich im Rückenmarkkanal der Wirbel befindliche Rückenmark. Das Rückenmark endet im Bereich der Lendenwirbelsäule. Ab hier ziehen dann nur noch Nervenstränge weiter.
Das Gehirn kann man als eine Art Erweiterung des Rückenmarks sehen. Im Gehirn finden die sog. kognitiven Vorgänge statt. Dazu gehören die Lern- und Denkvorgänge. Auch die Überwachung der unbewussten Vorgänge wie Atmung oder Reflexe werden im Gehirn gesteuert. Das Gehirn erhält z.B. durch das PNS über das Rückenmark Information über den Spannungszustand eines Muskels. Es vergleicht diese Spannung mit der abgespeicherten Normalspannung und der von anderen Muskeln und schickt dann eine entsprechende Meldung (Signale) über das Rückenmark und dem PNS zurück an den Muskel. So wird die Spannung entsprechend nachjustiert.
Das Gehirn wird unterteilt in Großhirn (Denkvorgänge, bewusstes Verarbeiten von Information aus den Sinnesorganen und Bewegung), Kleinhirn (übersetzt die Information aus dem Großhirn für die Bewegung in Muskelaktion), Mittelhirn ( Steuerung der meisten Reflexe) und Zwischenhirn (erste Anlaufstelle für die Informationen aus dem PNS und Sinnesorganen und Zuweisung einer Bedeutung). Wichtige Informationen aus dem Zwischenhirn werden an das Großhirn weitergegeben, unwichtiges gestrichen. Interessant zu wissen ist, dass bei Gefahr sofort der Kampf- oder Fluchtreflex ausgelöst wird. Dabei wird das Grosshirn nicht "gefragt". Die Meldung wird direkt über das Mittelhirn verarbeitet. Für den Reiter bedeutet es, dass ein Pferd, welches aus irgendeinem Grund in Panik/Stress gerät, nicht mehr in der Lage ist, die Hilfen des Reiters zu verarbeiten! Verletzungen im Gerhirn oder Rückenmark sind nicht reparabel und können u.a. zu schweren Ataxien führen.

2. Vegetatives Nervensystem
Das VNS arbeitet mit dem Mittelhirn und Zwischenhirn zusammen. Zum VNS gehören der Sympathikus und der Parasympathikus. Sie sind zwei sog. Gegenspieler. D.h. arbeitet der eine, ist der andere weniger aktiv und umgekehrt. Gesteuert wird durch ihnen alle Funktionen, die nicht dem Willen unterworfen werden. Dazu gehören z. B. Herzschlag, Darmmotorik, Muskeltonus.  Sie arbeiten eng mit dem Hormonsystem zusammen. Das Nervensystem des Sympathikus verläuft links und rechts parallel zur Wirbelsäule. Es ist für alle Prozesse zuständig, die den Körper aktivieren und Energie verbrauchen. Dazu gehören z.B. Beschleunigung des Herzschlages, Durchblutung reduzieren, Verengung von Blutgefäßen, Erhöhung der Grundspannung der Muskeln. Es wird dann aktiviert, wenn das Pferd in Gefahr ist oder vermehrt Stress hat.
Der Parasympathikus ist der Gegenspieler dazu und sorgt für alle Funktionen, die das Pferd ruhiger machen und der Gewinnung von Energie dienen. Dazu gehören z.B. Entspannung der Muskulatur, Verlangsamung der Herzschläge, Anregung der Darmmotorik. Zum Parasympathikus werden die Nervenstränge gezählt, die direkt aus dem Gehirn kommen sowie Nervenstränge aus dem hinteren Lendenbereich, die zur Harnblase, zum Mastdarm und zu den Geschlechtsorganen ziehen.
Ein Pferd, dass z.B. Schmerzen hat, in der Herde nicht integriert ist oder unter Druck geritten wird, hat immer eine erhöhte Sympathikusfunktion.

3. Peripheres Nervensystem
Hierzu zählen alle Nerven, die durch den Körper verlaufen und nicht zum ZNS oder VNS gehören. Unterschieden wird dabei in motorische (Bewegung) und sensorische (Fühlen) Nervenfasern. Die motorischen Fasern kommen vom Rückenmark und gehen in die Muskelzellen. Die sensorischen Fasern verlaufen über Rezeptoren der Muskeln, den Sinnesorganen und der Haut in Richtung Rückenmark. 
Über Austrittsöffnungen an den Wirbeln verlassen die Nerven den Wirbelkanal und verteilen sich im Körper. Die Nerven des PNS können bei Verletzung wieder repariert werden. Was allerdings Zeit braucht.

Die Bewegungen des Pferdes (und auch Menschen) werden über das periphere Nervensystem koordiniert. Es gibt dabei verschiedene sog. Rezeptoren. Ein Rezeptor ist eine Zelle oder ein kleines Nervengebilde, die als Empfänger von verschiedenen Signalen/Reizen arbeitet. Es wandelt die empfangenen Signale/Reize für die Nerven in eine verständliche Form um. Dabei meldet ein Rezeptor immer den gleichen Reiz.
Für uns in erster Linie wichtig sind die Propriozeptoren, die für Bewegung zuständig sind und Rezeptoren, die für Schmerz zuständig sind. Darüber hinaus gibt es noch weitere, die z.B. Druck, chemische Veränderungen oder Wärme an das Gehirn leiten. Die Nozirezeptoren befinden sich in allen Gewebestrukturen des Körpers.

Funktion des Nervensystem, hier PNS

Das Nervensystem hat nun die Aufgabe alle Reize in eine koordinierte Bewegung umzuwandeln. Dabei sind Unmengen an Aufgaben zu erledigen. Nehmen wir als Beispiel, dass unser Pferd einen Schritt machen soll. Das PNS muss folgendes Verarbeiten lassen:
- Stabilisierung eines Gelenkes
- Beugung eines anderen Gelenkes
- Vorheben eines weiteren Gelenkes
- Streckung eines Gelenkes
Dabei werden die einzelnen Muskeln immer wieder anders angesprochen. Mal müssen sie sich etwas zusammenziehen, mal etwas dehnen, mal etwas stabilisieren.
Wird das dann noch auf etwas unebenen Untergrund verlangt, erhöht sich die Aufgabe um ein Vielfaches.
Für diese Aufgabe hat das Nervensystem zahlreiche Unterstützung in Form von Propriozeptoren.

Propriozeption
Als Propriozeption bezeichnet man die Wahrnehmung des Körpers im Raum. Diese Stellung wird durch die Propriozeptoren in allen Strukturen (Bändern, Sehnen, Muskeln und Gelenkkapseln) gemeldet. Sie geben Auskunft über die momentane Stellung und Bewegung dieser Strukturen. Kommt es zu einer Veränderung, wird diese sofort an das Gehirn geleitet. Von dort kommt eine Antwort mit einer entsprechenden Korrektur z.B. der Muskulatur.
Beispiel: Das Pferd tritt auf einen Stein. Die Rezeptoren melden das Ungleichgewicht in den Gelenken. die entsprechenden Muskeln bekommen die Information zur Stabilisierung. Dabei kommen die Korrekturen zuerst direkt aus dem Rückenmark. Dies ist schneller und einer der Reflexe. Der Reiz wird aber trotzdem an das Gehirn weitergeleitet.
Besonders viele von diesen Rezeptoren sitzen in der sog. tiefen Muskulatur, die sehr nah an den Gelenken sitzt. Auf die Funktion der Muskulatur und ihre Besonderheiten werde ich in einem anderen Blog noch gezielt eingehen.

Schmerzreiz - Nozizeption
Der Körper ist immer als Gesamtheit zu betrachten. Jeder Schmerzreiz führt in erster Linie zu einer Veränderung der Bewegung. Das kann jeder nachvollziehen, der schon mal anständig Rückenschmerzen hatte und im Laufen eingeschränkt war. Die Nozizeption ist die Wahrnehmung von Schmerz. Die Veränderung der Bewegung kann dabei in einem sehr kleinen Ausmaß beginnen, welche für einen Laien kaum wahrnehmbar ist, bis hin zu einer starken Lahmheit. Früher war man der Meinung, dass Schmerz durch eigene Rezeptoren gemeldet wird. Inzwischen ist aber bekannt, dass alle Rezeptoren Schmerz melden können. Dass bedeutet für uns als Reiter oder Pferdebesitzer, dass Schmerz irgendwo im gesamten Körper auch Auswirkungen auf den Bewegungsablauf haben kann. Beispiel: ein Pferd mit Blinddarmproblemen, mag meist das rechte Hinterbein nicht so weit nach vorne bringen wie das Linke.
Wichtig: Die Nozizeption wird durch die Bewegung im Rückenmark gehemmt. Mechanische Meldungen für Bewegung werden denen des Schmerzes vorgezogen. Das hat damit zu tun, dass auch ein verletztes Pferd noch die Möglichkeit zur Flucht hat. Genau diese Hemmung bzw. Bevorzugung im Rückenmark ist aber genau der Grund, warum Pferde sich "einlaufen" oder vor dem Reiten im Rücken empfindlich aus Putzen reagieren und nachher nicht mehr! Ein guter Therapeut oder Osteopath ist auch daran zu erkennen, dass er zuerst das Pferd auf Schmerzempfindlichkeit untersucht und dann erst die Bewegungsanalyse macht.

Schlussfolgerung
Durch das Zusammenspiel des gesamten Nervensystems auf das Pferd wird dieses in seinem Handeln bewusst und unbewusst beeinflusst. Bewegungen werden durch Reflexe ausgelöst oder gehemmt. Deshalb muss sich jeder Reiter darüber im klaren sein, dass nicht immer alles vom Pferd willkürlich gemacht wird. Ein Pferd reagiert vielmehr auf seine Umwelt und deren Einflüsse. Äußere Einflüsse wie Stress, Gefahr oder schlechtes Reiten beeinflussen die Koordination der Bewegung negativ durch eine Erhöhung des Sympathikus. Dadurch können wir keine Losgelassenheit erreichen und auch keinen Aufbau der Muskulatur. Fallen dem Reiter solche Entwicklungen auf, so sollte er über diese Einflüsse nachdenken und etwas dagegen unternehmen. Zufriedenheit erhöht jedoch das in sich ruhende Pferd und damit auch den Parasympathikus. Wichtige Voraussetzungen für effektives Training.
Im Training sollten wir auf gute Bedingungen achten. Dazu gehört auch ein anständiger Bodenbelag. Auf Dauer ist Training auf einer Wiese oder einem unebenen Reitplatz eher schädlich für das Pferd.
Auch innere Einflüsse wie Schmerzen spiegeln sich in der Bewegung wieder. Ein taktunreines Pferd, welches sich einläuft, hat trotzdem noch Schmerzen. Diese sollten abgeklärt werden. Ansonsten können sich daraus starke Veränderungen im allgemeinen Bewegungsempfinden ergeben.
Alle diese Funktionen sind auch auf den Menschen übertragbar. Unser Nervensystem funktioniert auch so. Dabei solltet ihr euch nochmal den Zusammenhang mit Stress und Muskelspannung überlegen. Wenn ihr gereizt im Stall ankommt und reiten wollt, wird es mit Sicherheit nicht gut enden. Durch euren erhöhten Sympathikus ist eure Muskelspannung erhöht. Das wirkt sich mehr oder weniger unbewusst auf die Qualität der Reiterhilfen und dem Sitz aus. Diese verschlechterte Qualität in Verbindung mit einer veränderten Stimme, auch das ist unbewusst, erhöht den Stress beim Pferd. Wie sich der Teufelskreis jetzt schließt, könnt ihr euch nun denken.