Mittwoch, 9. Oktober 2013

Korrektur von Anlehnungsfehlern - Teil 3 - Hinter dem Zügel

Ich hatte euch ja versprochen meine Ansichten zur Korrektur von Anlehnungsfehlern zu erläutern. Hier nun der letzte Teil. Es geht hier um die meiner Meinung nach schwierigste Korrektur von Anlehnungsfehlern, nämlich dem Pferd, das hinter dem Zügel oder eingerollt ist. Diese Pferde habe echte schlechte Erfahrungen gemacht. Entweder sind sie bewusst eng geritten worden oder aus falsch verstandener "Leichtheit" des Zügelkontakts nie korrigiert worden oder der Reiter hat durch grobe Handeinwirkung und Benutzung von Hilfszügeln das Pferd zu einem vermehrten Abknicken im Genick aufgefordert. Durch den Druck auf Zunge, Unterkiefer und Genick entweicht das Pferd nach hinten - unten, mehr oder weniger weit. Es lernt, dass das Gebiss weh tut und man besser nicht die Verbindung sucht.

Bei der Korrektur dieser Pferde müsst ihr euch zuerst folgendes klar machen:

  • der Reiter muss (!!!!!) sich ändern und schulen
  • die Hilfen der Hand müssen fein werden und dürfen niemals mehr rückwärts einwirken
  • ein Schließen der Finger muss sofort (!!!!!) wieder ein Öffnen folgen
  • keine Hilfszügel, egal wo das Problem liegt, ihr werdet es niemals ehrlich mit Hilfszügeln korrigieren. Spart euch das Geld.
  • die Gehfreudigkeit des Pferdes muss wiederhergestellt werden. In der Regel laufen diese Pferde mit Hinterantrieb auf Halbmast
  • jede Bewegung nach hinten - unten muss sofort korrigiert werden

Mein Hannoveraner Willow, genannt Willi, kam mit 4,5 Jahren als nicht mehr reitbar zu mir. Er war ein Jahr unter dem Sattel, wurde aufs fieseste eingerollt und trat nicht mehr an den Zügel heran. Seine Reaktion war ein sofortiges Durchgehen, sobald die Zügel aufgenommen wurden. Er war halt schlau und hat sich gewehrt. Dieser Fall gehört sicherlich mit zu den krassesten, kommt aber doch häufig vor. Am meisten finde ich bei Reitern den Fall, dass das Pferd immer knapp hinter der Senkrechten ist.

Welche Reihenfolge in der Korrektur ist sinnvoll?
1. Das Pferd muss die Nase wieder vor die Senkrechte bekommen und schauen, wo es hinläuft
2. Der Kontakt am Gebiss muss erhalten werden
3. Die Muskeln der oberen Muskelkette müssen aufgebaut werden, die der unteren muss stützen
4. Die Beweglichkeit der Muskeln muss gefördert werden und das Gleichgewicht wieder hergestellt
5. Festigung der Korrektur in allen Lebenslagen

Meine Vorgehensweise
Als ich meinen Hannoveraner bekam, war er so dünn, dass man das Skelett schon gut erkennen konnte. Keine Muskeln da, wo sie hingehören. Einen mächtig verhärteten Unterhals und das wars. Hinzu kommt noch erschwerend, dass er koppt. Du die wenige Muskulatur war Reiten eh nicht das geeignete Mittel. Ich begann also vom Boden. An der Longe habe ich ihn mit Kappzaum gearbeitet, so wie wir das bei Philippe Karl gelernt haben. Über die Biegung konnte ich ihn nach einiger Zeit in eine schöne Dehnungshaltung locken. Aber das größere Problem war ja das Gebiss. Ich benutze für meine Pferde übrigens eine einfach gebrochene Schenkeltrense aus Edelstahl, nicht zu dick. So ein ganz günstiges Gebiss ohne viel Schnick Schnack.

Erste Schritte
Die ersten Einheiten waren erst einmal Gewöhnung an das Gebiss und eine neue Erfahrung der Einwirkung. Willi war zum Glück sehr artig und lieb im Umgang und noch kindlich neugierig. Es war also kein Problem ihm etwas neues zu erklären. Zuerst haben wir die Abkauübungen im Stehen gemacht. Bei dieser Korrektur stehe ich allerdings seitlich neben dem Kopf, lege den äußeren Zügel über das Genick rüber, fasse am inneren Zügel an den Trensenring und habe die Hand des äußeren Zügels auf Höhe Ganasche. Nun führe ich sanft beide Hände zueinander. So wirke ich auf beiden Seiten wieder Richtung Maulwinkel ein und tue dem Pferd nicht weh. Bei der normalen Abkauübung lässt man die Spannung sofort nach, sobald das Pferd im Unterkiefer nachgibt. Bei dieser Korrektur ist es so, dass ich möchte, dass das Pferd im Unterkiefer nachgibt und noch gegen das Gebiss drückt. Ich behalte also die Spannung an beiden Zügeln bei, bis das Pferd einen Ausweg aus dieser nicht ganz so harmonischen Situation sucht. Das stört dem  Pferd ziemlich. Geht das Pferd aber nach evtl. verschiedenen Versuchen in alle möglichen Richtungen endlich nach vorne - unter, dann löse ich sofort etwas die Spannung, behalte den Kontakt aber bei. Kommt es wieder hoch, erhöhe ich wieder die Spannung. Ist eigentlich ganz einfach: Spannung lösen wenn Nase nach vorwärts - abwärts; Spannung erhöhen wenn Nase wieder hoch. Geht das Pferd irgendwann dabei mit der Nase hinter die Senkrechte, so kann meine Hand am Trensenring das sofort durch Bewegung des Gebisses Richtung Oberkiefer/Nüster korrigieren. Das wird jetzt immer wieder im Stand geübt. Zwischendurch sind Pausen selbstverständlich. Hat das Pferd das im Halten verstanden, dann das Ganze im Schritt wiederholen. Da kommen dann sicherlich wieder die ersten Probleme. Aber auch hier gilt beharlich bleiben. Loben durch Nachgeben der Spannung bei vorwärts - abwärts. Ihr könnt euch gebogene Linien zunutze machen. Das Pferd versucht in der Biegung runter zu gehen, da es bequemer ist. Diesen Schritt an der Hand empfehle ich wirklich ausgiebig über mehrere Wochen zu machen! Das Pferd hat Schmerzen in der verspannten Muskulatur der Oberlinie,da diese stark überdehnt und verspannt ist. Kennt ja jeder von euch auch, wenn ihr mal Muskeln dehnt, die sonst eher nicht benutzt werden. Das ist auch der Grund, warum viele in der Dehnung sofort wieder hochkommen. Zusätzlich die Arbeit an der Longe. Hier muss das Pferd in Dehnungshaltung fleißig gehen. Rechnet in den ersten Tagen mit Muskelkater. Sobald das Pferd den Kontakt auf beiden Seiten akzeptiert, könnt ihr den äußeren Zügel anfangen langsam weiter nach hinten Richtung Widerrist zu nehmen und über die Biegung arbeiten. Dazu könnt ihr im Beitrag "Wie erarbeite ich eine korrekte Anlehnung und Beizäumung?" lesen.


Haltung der Hände
Foto: privat


Die Hände folgen nach vorwärts - unten
Foto: privat
und weiter in der Bewegung, hier mit Biegung
Foto: privat


Unter dem Sattel
Als nächsten Schritt erarbeitet man das ganze unter dem Sattel. Ich möchte den Weg, den ich genommen habe hier aber nicht schriftlich niederlegen aus einem einfachen Grund: Ich habe Erfahrung mit dieser Art der schwierigen Korrektur. Man hört ja über Reiter, die nach der gleichen Reitweise wie ich arbeiten, die Reiten ja immer mit hoher Hand. Ja, und das ist bei vielen auch tatsächlich wirklich leider der Fall. Sie haben irgendwo mal ein oder zwei Unterrichtsstunden gehabt, wo dann so korrigiert wurde und dann nicht wieder und wissen nicht wie es weitergeht bzw. haben sich irgendwo was abgeschaut und nachgemacht oder von nichtausgebildeten Trainern mit Halbwissen etwas gesagt bekommen, was nicht korrekt ist. Aber ich sage euch: wir reiten nicht ständig mit hoher Hand! Damit es euch Lesern nicht so geht, erkläre ich euch einen etwas abgemilderten Weg. Wer den direkten Weg gehen will, der kann sich persönlich an mich wenden.

Zu allererst ist unter dem Sattel auch wieder das Problem der Angst des Pferdes. Es verbindet die negative Erfahrung mit dem Idioten oben. Die Anforderungen an den Reiter sind:
  • mitgehende Hände
  • ausbalancierter Sitz
  • keine Angst vor fleißigen Bewegungen
  • schnelle Reaktion
Grundsätzlich wird das Pferd immer wie oben erwähnt an der Hand aufgewärmt. Ihr sitzt auf, nehmt die Zügel auf mit leichter Verbindung. Überlegt euch genau, was ihr als Reaktion vom Pferd wollt und was es macht. Wenn nun die erste Reaktion des Pferdes ein Nachgeben im Genick ist, dann korrigiert ihr es sofort mit einem leichten Vibrieren an beiden Zügeln etwas nach oben, so eine Handbreit reicht meistens schon.Wir möchten folgende Reaktion: das Pferd nimmt den Kontakt an, hebt vielleicht den Kopf oder senkt ihn etwas. Nur darf es niemals das Genick beugen. Das ist nämlich seine Art sich den Zügelhilfen zu entziehen. Genickbeugung wird erst später durch Spannen des äußeren Zügels verlangt und ist in dieser Situation der Korrektur nicht erlaubt. So, ihr habt also leichte Verbindung zum Pferdemaul. Und los geht es im Schritt. Denkt an das folgen der Nickbewegung, sucht so viel wie möglich die Verbindung mit einer weichen folgenden Hand. Haltet die Hände etwas breiter auseinander, so bleibt ihr beweglicher. Jeder Bewegung des Pferdes nach vorne - unten folgen, bei jeder anderen unbedingt die Verbindung zu Gebiss beibehalten. Im Schritt ist es noch am schwierigsten. Ihr haltet dem Pferd das Gebiss sozusagen vors Maul. Jedesmal, wenn es sich durch Genickbeugung entzieht, korrigiert ihr wieder. Achtet auch einen schreitenden Schritt. Das Pferd darf nicht schleichend. Die aktive Hinterhand ist euer Gegenpol zum Kontakt. Wenn es im Schritt schon etwas geht, dann trabt an. Große Linien und geradeaus im Leichttraben, dabei den Oberkörper etwas vorbeugen, dehnt euch auch im Rücken! Die Hände halten weiterhin das Gebiss mit beiden Zügeln vor das Pferdemaul mit leichtem Kontakt. Sollten die Zügel mal durchhängen, weil das Pferd schneller war als ihr, dann korrigiert es einfach wieder. Will das Pferd in irgendeiner Situation sich mehr Strecken, dann erlaubt es auf jeden Fall. Das ist ja unser Ziel. Es soll sich das Gebiss nehmen. Loben mit der Stimme bei jeder guten Idee des Pferdes. Im Trab ist es meist einfacher. Das Pferd hat eine hohe Körperspannung und durch das fleißige Tempo (bitte nicht schleiche lassen) dehnt es auch wieder mehr die Oberlinie. Erarbeitet euch das gründlich im Schritt und Trab und dann macht ihr euch an den Galopp.Bekommt ihr an irgendeiner Stelle Probleme, dann kehrt ihr dahin zurück, wo es geklappt hat. Zur Not auf den Boden.

Noch nicht perfekt aber auf dem Weg.
Hier seht ihr übrigens den festgehaltenen
Unterhals des Friesen
Foto: privat



Hier ist gut die zum Pferdmaul hingeführte
Hand zu erkennen.
Das Gebiss wird dem Pferd hingehalten
Foto: privat

 
Im Trab schon einfacher.
Hier aber wieder knapp mit der Senkrechten.Foto: privat

Haltung des Pferdes
Die Pferde müssen die ganze Zeit in Dehnungshaltung gehen. Erst mit Kräftigung der Oberlinie, darf mit einer leichten Aufrichtung begonnen werden.

Und wie geht es weiter?
Hält das Pferd den Kontakt gut, dann dürft ihr mit dem normalen Weg weitermachen. Es wird dann mit der Biegung gearbeitet. Das habe ich aber in dem Teil "Wie erarbeite ich eine korrekte Anlehnung und Beizäumung" erklärt. Aber vergesst nicht, dieser Fehler ist der hartnäckigste. Es kann wirklich über Jahre gehen, bis das Pferd keine Angst mehr hat. Natürlich gehen in den ersten Monaten die Schritte schneller. Aber zur Perfektion dauert es. Ihr müsst das alte Verhalten, was dem Pferde beigebracht wurde aus seinem Gedächtnis herausradieren und dafür was Neues schaffen. Jeder Fehler des Reiters erinnert das Pferd natürlich an das Problem. Je besser ihr seid, desto schneller lernt das Pferd zu vertrauen. Es ist ein Fehler, der schnell hergestellt wird aber langsam in der Korrektur ist.

Ins rechte Bild gerückt
Ein wichtiger Punkt ist noch die Muskulatur des Unterhalses. Pferde mit diesen Anlehnungsproblemen sind hier extrem verkürzt und entsprechend verspannt. Selbst wenn es die Oberlinie dehnt, dann lässt es unten noch nicht richtig los. Das erkennt ihr gut daran, dass sich die Muskeln unter so kantig/deutlich abzeichnen. Der ganze Hals ist irgendwie ein Bogen. Ihr könnt hier zusätzlich mit Massage eurem Pferd helfen. Für Laien sieht das Pferd toll aus, für den, der richtig schaut wird erkennbar, wie es sich da noch festhält.

www.marion-wiesmann.de